Blindlings
ins Vergnügen
Ein synästhetisches Künstlergespräch.
Ein Blinder lehrt uns Hören und Sehen.
Werkbetrachtungen und Wahrnehmungen des blinden Musikers Mike Reisinger. Werke von Michael Lauss und MARL und Franz Hintermann und Karl Krieg.
Musik:
Impro Radikale
Anka Draugelates, Bratsche, Voc.
Mike Reisinger, Sax.
spielen
rot blau grün.
„Blindlings ins Vergnügen“ begibt sich der Kunstraum Schmiedgasse am Samstag um 19.30 Uhr mit dem blinden Musiker Mike Reisinger. Ein Themenabend über fehlende und verborgene Wahrnehmungsbereiche, die gemeinsam erforscht werden und neue (syn-)ästhetische Dimensionen eröffnen können. Mit Bildern und Skulpturen von MARL und Michael Lauss, Texten von Franz Hintermann und dem Herausgeber des Passauer Literaturmagazins „Pegasus“, Karl Krieg. Außerdem mit Musik von „Impro Radikale“: Anka Draugelates an der Bratsche und am Mikrophon, und Mike Reisinger am Saxophon spielen Rot, Grün, Blau und anderes. Eintritt 10 €.
„Blind sein heißt ja nicht, bilderlos leben“
Der Kunstraum und der blinde Autor und Musiker Mike Reisinger luden zum Experiment
Wie sieht das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Kunst aus? Was passiert mit dem ästhetischen Empfinden, wenn man anders wahrnimmt als mit den üblichen fünf Sinnen? Zur Erforschung dieser Fragen lud der Kunstraum Schmiedgasse Künstler und Publikum zu einer Art experimenteller Versuchsanordnung unter der Überschrift „Blindlings ins Vergnügen“ ein.
Der Untertitel der Veranstaltung, „Ein synästhetisches Künstlergespräch“, bildete dabei vorab das Leitmotiv und brachte das Kunstraum-Team auf die Idee, einen blinden Autor und Musiker, bildende Künstler, Literaten sowie das Publikum sich über fehlende oder verborgene Wahrnehmungsbereiche, das Zusammenspiel unterschiedlicher Kunstgattungen und die entsprechenden Möglichkeiten der Kommunikation hierüber miteinander auszutauschen zu lassen.
Unter „Synästhesie“ ist die angeborene Begabung zu verstehen, zugleich mit einem Sinneseindruck einen anderen wahrzunehmen, also beispielsweise beim Hören von Tönen zugleich Farben, einen Geschmack oder taktil-geometrische Eigenschaften wie „rund“ oder „eckig“ zu empfinden. Zum anderen lässt sich unter „Synästhetik“ das Konzept einer Koppelung von ästhetischen Wahrnehmungen aus unterschiedlichen Bereichen begreifen.
Der Dreh- und Angelpunkt des Abends war der im Alter von sieben Jahren erblindete Mike Reisinger aus der Nähe von Regensburg. Zusammen mit der Regensburger Musikerin und Stimmkünstlerin Anka Draugelates bildet er das Duo „Impro Radikale“ und hat das musikalische Hörbuch „Paraträume“ eingespielt und -gelesen, als Autor veröffentlicht er unter anderem für die Passauer Literaturzeitschrift „Pegasus“.
Deren Mit-Herausgeber Karl Krieg, der Maler Marl und der Maler/Bildhauer Michael Lauss gehörten ebenso zum Bühnenpersonal dieses Abends, wobei die Bilder und Skulpturen von Marl und Lauss den Ausgangspunkt bildeten: Nach dem Eröffnungsstück von „Impro Radikale“ wurde den Gästen die Augen verbunden und von einer sehenden Person ein Bild von Marl beschrieben. Daraufhin konnte das Publikum die Binden abnehmen und den Unterschied zwischen imaginiertem und gesehenem Bild schildern. Als Nächstes erklärte der Künstler dem blinden Mike Reisinger sein Bild, und dieser wiederum teilte allen Anwesenden mit, was vor seinem inneren Auge aus dieser Erklärung entstanden war. Ähnliches wurde mit den farbigen Holzplastiken von Michael Lauss unternommen.
Zunächst von Karl Krieg aufgelockert durch einen satirisch-fiktiven, kunst-politisch aufgeladenen Dialog über Synästhesie zwischen Franz-Josef Strauss und der Kunstfigur „Prof. Travnicek“ von Helmut Qualtinger, ergab sich unter der Regie von Thomas Scharrenbroich nach der Pause ein angeregtes Gespräch zwischen Publikum und Künstlern. Zunächst konnte Mike Reisinger von seinem Alltag und seiner Biographie als Blinder und Künstler erzählen, danach ging man im Interview mit „Impro Radikale“ der Frage des künstlerischen Austausches und Zusammenwirkens unter solchen besonderen Voraussetzungen nach.
Dabei stellte sich heraus, dass sowohl für Draugelates als auch für den Blinden Reisinger die Improvisation eine taugliche Lebensphilosophie darstellt. Es muss am Ausgangspunkt passen, und dann kann sich eine produktive und kreative Beziehung entwickeln, wenn jeder Beteiligte die nötige Offenheit und Neugier mitbringt. Die Schulung von Sensibilität ist in diesem Prozess ein Effekt, der Barrieren abbauen kann, oder umgekehrt, die Annahme, dass gar keine unüberwindbaren Barrieren vorhanden sind, eröffnet eine Haltung der Offenheit und Perspektiven, welche über das hinausgehen können, was man als Einzelner fälschlicherweise für vorgegeben hinnehmen mag.
Und abseits aller Konzepte war es eine Freude, dem belesenen und lesefreudigen Mike Reisinger zuzuhören, wie er erzählt, dass er nachts mit einem blinden Freund durch den Wald geht, ohne Angst, sich zu verlaufen, und die Abstände der Bäume an ihrem Echo wahrnehmen kann, oder wie er frech einwirft, das Waldkirchner Kopfsteinpflaster sei ungewöhnlich holprig, wobei er die Stadt und seine Gastgeber ansonsten als sehr freundlich und angenehm empfunden hat.
weitere Informationen:
http://www.lohrbaerverlag.de/AutorInnen/Autoren_Reisinger.htm
http://www.bernhardsetzwein.de/seiten/paratraume.htm
http://www.amazon.de/Paratr%C3%A4ume-Mike-Reisinger/dp/3939529117